"Enzi" ist älter als der Keltenfürst
icon.crdate20.11.2024
Bei Ausgrabung am Galgenfeld 5000 Jahre alte Skelette und 7000 Jahre alte Fundstücke entdeckt
Rettungsgrabungen am Vaihinger „Galgenfeld“ befördern bis zu 7.000 Jahre alte Fundstücke zutage - Mann mit der Steinaxt und Frau mit Baby sind rund 5000 Jahre alt
Vaihingen an der Enz – Was bei den Ausgrabungen im Vorfeld der Erschließung des neuen Gewerbegebietes Galgenfeld zutage gefördert wurde, ist spektakulär: Einige Funde sind bis zu 7.000 Jahre und damit viel älter als beispielsweise das Grab des Hochdorfer Keltenfürsten. In gut vernetzter Zusammenarbeit von Stadt, Denkmalpflege und Grabungsfirma wird das kulturelle Erbe der Region bewahrt.
Seit September laufen auf dem vier Hektar großen Areal zwischen der B10 Richtung Pforzheim und der Stuttgarter Straße im Gewann „Galgenfeld“ archäologische Rettungsgrabungen. Diese wurden im Vorfeld der Erschließung des geplanten Gewerbegebietes „Wolfsberg IV“ vom Landesamt für Denkmalpflege (LAD) im Regierungspräsidium Stuttgart angeordnet. Denn das Gebiet liegt im Bereich eines Kulturdenkmals „Neolithische Siedlung“. Immer wieder waren seit 1987 bei Erschließungsarbeiten und Baumaßnahmen in direkter Nachbarschaft so genannte bandkeramische Siedlungsspuren und Gräber der Jungsteinzeit (ca. 5.000 v. Chr.) entdeckt worden. Die Linearbandkeramiker sind die ersten Ackerbauern und Viehzüchter in Baden-Württemberg.
Jetzt haben sich die Vermutungen bestätigt: Die beauftragte Fachfirma ArchaeoConnect aus Tübingen barg zunächst ein Skelett und eine danebenliegende Axt. Auf den ersten Blick könnte sie aus dem Baumarkt auf der anderen Straßenseite stammen. Aber: Der Schlagkopf besteht nicht aus Metall, sondern aus aufwendig poliertem Stein! „Das männliche Individuum in Hockerbestattung mit polierter Steinaxt lässt sich zeitlich in das Endneolithikum (Ende der Jungsteinzeit) einordnen“, erklärt Dr. Felicitas Schmitt vom Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart. Das bedeutet: Der Fund stammt aus dem 3. Jahrtausend vor Christi (2.800 bis 2.500 v.Chr.) und ist damit 5000 Jahre alt. Damit hätte Vaihingen also seinen „Enzi“! Was den Arbeitstitel „Tatort Galgenfeld“ angeht, den die Stadtverwaltung dem Projekt bereits vergeben hat, muss Felicitas Schmitt aber eine Spielverderberin sein. „Der Verstorbene ist ziemlich sicher nicht gewaltvoll bzw. unter Fremdeinwirkung ums Leben gekommen, sondern normal bestattet worden.“ Die Axt ist kein Tatwerkzeug, sondern eine Grabbeigabe.
Kaum war der erste Fund gesichert und zur Auswertung in die archäologische Schatzkammer des Landes, das Fundarchiv in Rastatt, gebracht worden, tauchten neue Fundstücke auf. Gesichert wurden die Überreste einer Mutter und eines Babys – vermutlich ebenfalls aus dem Endneolithikum – auf der Seite liegend und mit angewinkelten Beinen. Beide sind somit vielleicht sogar Zeitgenossen von „Enzi“. Und viel älter als beispielsweise der berühmte Keltenfürst von Hochdorf. Er wurde etwa um 530/520 v.Chr. bestattet.
„Die Funddichte am Galgenfeld ist mit bisher rund 400 Funden hoch“, sagt auch Stephan Sure vom Stadtplanungsamt. Es gibt eine Vielzahl von Gruben und Pfostenlöchern, die für „Behausungen“ sprechen, also als eindeutige Siedlungsbefunde gewertet werden können. „Abgesehen von den bislang zwei Gräbern mit drei Individuen fallen die anderen archäologischen Befunde in den Bereich einer früh- und mittelneolithische Siedlung“, so Schmitt. Das bedeutet: An der Enz in der heutigen Gemarkung Vaihingen haben schon in der Jungsteinzeit vor 7.000 Jahren Menschen gelebt. Vermutlich in so genannten Langhäusern.
Die Geschichte muss aber nicht neu geschrieben werden. Denn bereits bei der Erschließung des perfekten Standorts in Ensingen waren mehr als 80 Skelette und annähernd 100 Hausgrundrisse aus der gleichen Epoche entdeckt worden. Vaihingen ist laut schriftlicher Erwähnung zwar „erst“ 1.250 Jahre alt. In Wahrheit aber siedelten (mindestens) seit 7000 Jahren Menschen an der Enz, die zu jener Zeit eher ein Bachlauf gewesen sein mag. Schon wittert Stadtarchivarin Andrea Majer Requisiten zur Gestaltung einer Ausstellung – vielleicht sogar im Zuge der Gartenschau 2029. Vielleichte könnte man – wie in Hochdorf – das Aussehen „Enzis“ digital rekonstruieren und auf diese Weise die Vergangenheit lebendig werden lassen, sinniert sie. Das aber ist Zukunftsmusik mit archäologischem Kulturgut, das nun erst einmal fachgerecht gesichert werden muss. Voraussichtlich bis Ende Februar wird noch gebaggert, gegraben und gepinselt, um das Erbe der Vaihinger Vorfahren zu bewahren.
Weil das Wetter mitspielte, konnten bislang alle Funde im Zeitplan geborgen und abtransportiert werden. „Was die Erschließung des Gewerbegebietes betrifft, erwarten wir keine Zeitverzögerung“, so Sure.